Es wird einmal... So begannen die Märchen in meiner Schulzeit. Es werden die Ströme Sibiriens umgeleitet und aus den kargen Steppen
Karagandas werden blühende Landschaft für die dorthin Verbannten. Hat jemand das Bedürfnis, Auto zu fahren. Kein Problem. Verspürt Hänschen Appetit auf Schokolade.
Bitte sehr! Hauptsache, er hat fleißig Altpapier gesammelt oder Oma Müller die Kohlen hochgetragen. Es wird einmal... Jedem nach seinem Bedürfnis,
jeder nach seiner Fähigkeit.
Doch schweifen wir ab in die nahe Zukunft. Der Bürgermeister der Stadt Greiz, nennen wir ihn Greizler saß zu Tische und stocherte missmutig in den Dinkel-Bratlingen
auf Sauerkraut an selbst gepflückten Schwalbennester finissiert a la Chinese. „Was schaut Ihr so verdrießlich, mein Gemahl, mundet es Euch nicht?“ hob die
Bürgermeisterin an. „Ach, wisst Ihr. Über 14 Tage wird gewählt, und alle Welt fragt mich, wo denn der Aufschwung bliebe, den ich einst verheißen. Selbst das
mir gewogene `Neue Greizer Intelligenzblatt´ haderte unlängst mit mir,“ klagte ihr Mann. „Ei, so lasst mich überlegen. Vielleicht wüsste ich Rat. Geht ein
Weilchen hinaus. Denkt aber an die Benzinpreise und lauft, so wird Euch der Kopf wieder frei werden.“
Und wie es war Sitte geworden, gehorchte er seiner Frau, warf sich den Jack Wolfskin über, zog die Wanderstiefel an und schritt wacker in den Park,
über die Luftbrücke, vorbei an der 11. Sunde in den dunklen Haag hin zur Teufelskanzel. Und da es am Stammtisch gestern Abend spät geworden, auch die Zeit
der Mittagsruhe herbeigekommen, setzte er sich ins weiche Moos. Und eh er sich´s versah, war er eingeschlafen und es träumte ihm.
Undeutlich nahte sich ihm eine schwarze Gestalt mit zotteligem Haupthaar und etwas wie einem Bart. „He, Alter bist Du nicht der Spitzbart? Kannst Du mir nicht verraten,
wie das zugeht: ` Einholen ohne zu überholen´? Die Wirtschaft meiner Stadt liegt darnieder, und mir gebricht es an einem Rezept.“
Nun berichtete der Bürgermeister alles, was ihn beschwerte und die Lust an Dinkel-Bratlingen verdarb. „Hör zu, antwortete der Waldschrat,“
nachdem jener sei Herz ausgeschüttet hatte, „hier hat Du ein Skatboard. Damit kannst Du in frühere Zeit fahren und sehen, was Menschen begannen, aber auch in die
Zukunft, was daraus sich entspann. Daraus magst Du lernen.“ Sprach´s und entschwand.
Hei, schnell suchte der Bürgermeister ein ebenes Fleckchen, stellte sich auf das Ding und drückt kräftig nach hinten. Wie im Fluge
flogen Bilder vorbei, bis es still stund. Und siehe, die Erde war wüst und leer. Ein leichter Druck nach vorne. Land stieg aus dem Wasser, begrünte sich
Es begann zu kreuchen und fleuchen. Und, wo lag nun Greiz? Google Earth zeigt ihm den Weg: Urwälder, ein riesiger See, Erdbeben und was sich sonst noch in Millionen von Jahren begab.
Schließlich grub sich ein Flüsschen seine Bahn. Über den ärmlichen Hütten der ersten Siedler wurde eine Burg gebaut. Und, und, und... Und war das in der Ferne?
Hochöfen. Und was dort ganz hinten hinter dem großen Wasser. Greizler fuhr näher. Ein Wald von Bohrtürmen. Rockefeller und die Bush wurden reich. Hochhäuser
wuchsen in den Himmel. Phantastisch! „Was war eigentlich aus den Greizer Urwäldern, dem Modder auf dem Meeresgrund geworden?“ sinniert der Bürgermeister.
Er stellte den Tiefen-Zoom ein und erstarrte: Erdöl, Erdgas, Erdöl, wohin er blickte. „Was könnte nicht daraus werden?“ Ein leichter Druck nach vorn.
Der Parksee wurde trockengelegt. Zwischen ihm und Wünschendorf wuchsen Bohrtürme in den Himmel. Hinter dem Hauptbahnhof mit Turbo-U-Bahn zum Regierungssitz
nach Berlin erstreckte sich silberne Rohschlangen und Mega-Tanks der Raffinerien bis Elsterberg. Die Bewohner der Stadt waren in Plattensiedlungen gen Zeulenroda
umgesiedelt, später gen Schleiz. Wegen der Lärmbelästigung durch die 5. Landebahn des Airport Obergrochlitz hatten die Demonstrationen überhand genommen.
Wogegen Banken wie Lehman Brother, die Hypo Real Estate ihren Hauptsitz in die Vogtlandstadt verlegten. Anstelle des Greiz-Werdauer Waldes erhoben sich Hotels
und Vergnügungsparks, dass selbst Las Vegas wie ein blasses Abbild der DDR erschien. Doch all` das schrumpfte, wenn man zum Schlossberg schaute.
Dort stieg ein Verwaltungsgebäude wahrlich bis in den Himmel, so dass man bei gutem Wetter die Alpen oder die Ostsee sehen konnte und selbst der Scheich von
Dubai nichts Prächtigeres noch Höheres geschaut hatte. Und dort oben war der Dienstsitz des Präsidenten der Erdölgesellschaft. Dort oben thronte er!
„Halt, ich muss noch einmal zurück,“ schnaufte Greizler aufgeregt. „Wie haben es dereinst der Denver Clan oder Dallas angestellt, durch Erdöl zu Gelde zu kommen?“
Ein leichter Druck nach hinten. „Au!“ Mit einem grässlichen Fluch fuhr er hoch. Ein Mückenstich - und der Traum war zerstoben. Es wird erzählt, seitdem
habe man ihn des öfteren in den Wald schreiten sehen. Einige berichten sogar, er habe an der Teufelskanzel im Moos gelegen. Aber wie sehr er sich auch dort
um Schlaf mühte, den Dreibart sah er nimmermehr. Und wenn er nicht gestorben ist, so müht er sich weiter. Denn: „Es wird einmal ein Wunder geschehen...“